Voor de Deutschfähigen:
Mit der Wahrheit ins Chaos: Wer ist Jeroen Dijsselbloem?
Michael Brückner
Avanti Dilettanti: Nach der so genannten Zypern-Rettung herrscht Chaos in Brüssel. Mitten drin: der neue »Mister Euro« Jeroen Dijsselbloem. Er gilt als unerfahrener Leichtmatrose auf der Kommandobrücke. Manchmal aber sagt er die Wahrheit – und schockt damit das Euro-Establishment, dem Transparenz nur dann wichtig erscheint, wenn es um die Konten der Sparer geht.
Die Welt der Finanzen blieb ihm bis Ende vergangenen Jahres weitgehend verschlossen. In der Fraktion seiner linken Partij van de Arbeid (PvdA) war er für Bildung und Jugendhilfe zuständig, kämpfte gegen Gewaltvideos. Zuvor hatte der studierte Agrarökonom im niederländischen Landwirtschaftministerium gearbeitet. Aufgefallen ist der gegelte Lockenkopf auch seinen
Landsleuten eher selten. Er gilt als politisches Leichtgewicht, als einer, der von der Uni gleich in die Politik und die Verwaltung wechselte, vom wirklichen Arbeitsleben noch nicht allzu viel mitbekommen hat und in seiner Freizeit gern Salsa tanzt. Ein Headhunter hätte ihn bei dieser Vita wohl kaum für jenen Job vorgeschlagen, den Jeroen Dijsselbloem heute inne hat.
Und dennoch machte der 47-jährige Niederländer in den vergangenen Wochen, mitten in der Euro-Krise, eine viel beachtete Blitzkarriere. Dijsselbloem, der in seiner Heimat dem linken Netzwerk der »Roten Ingenieure« angehört, avancierte völlig überraschend im November vergangenen Jahres zum Finanzminister seines Landes. Schon diese Personalentscheidung sorgte für Aufsehen, schließlich befinden sich die Niederlande in einer handfesten Immobilien- und Bankenkrise. Viele Banken gelten als angeschlagen, können nur mit staatlicher Hilfe überleben. Kaum im Amt, gab Jeroen Dijsselbloem rund vier Milliarden Euro aus, um die krisengeschüttelte SNS Bank zu verstaatlichen. Viele seiner Landsleute beschlichen schon damals ernste Zweifel, ob es wirklich eine gute Idee war, ausgerechnet einen Leichtmatrosen auf die Kommandobrücke zu schicken.
Doch das war erst der Anfang einer Blitzkarriere. Keine 100 Tage im Amt als Finanzminister, stieg Jeroen Dijsselbloem zum Euro-Gruppen-Chef und damit zum Nachfolger des Luxemburgers Jean-Claude Juncker auf. Dass der ökonomische Azubi aus dem Nachbarland dieses Amt bekam, scheint nur auf den ersten Blick ein Zufall zu sein. Für Merkel, Schäuble und Co. ist Dijsselbloem pflegeleicht, versicherte er doch in vorauseilendem Gehorsam, er werde die bisherige Euro-Strategie stark und »knallhart« fortsetzen. Allenfalls werde er »einen anderen Ton anschlagen«. Der Sozialist François Hollande kann mit dem roten Genossen aus den Niederlanden ebenfalls leben, und EZB-Chef Mario Draghi dürfte den neuen Euro-Gruppen-Chef, den die Medien schon mal als »Dusselbloem« bezeichnen, kaum ernst nehmen.
Irgendwie machte diese Personalentscheidung sogar Sinn, denn mit Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Ratspräsident Herman Van Rompuy und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton stehen durchweg farblose Opportunisten mit wenig Fortune an der Spitze der Brüsseler Monster-Bürokratie, die dem Netzwerk aus ehemaligen Goldman-Sachs-Mächtigen an den Schaltstellen der Macht die Arbeit erleichtern.
Wahrscheinlich wäre Jeroen Dijsselbloem den meisten Europäern heute noch ebenso wenig bekannt wie besagte Lady Ashton, von der keiner so recht weiß, wofür sie eigentlich ihr fürstliches Gehalt bezieht. Doch dann geschah etwas, das an Hans Christian Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern erinnerte. Dijsselbloem sprach offen aus, was die meisten Europäer nach der so genannten Zypern-Rettung befürchteten und was in den Regierungszentralen und in Brüssel hinter vorgehaltener Hand intensiv diskutiert wurde. Um den Euro zu retten, sollen künftig die Sparer und Anleger bluten. Zypern liefere eine Blaupause, sagte Dijsselbloem. Er sprach in einem Interview, aus dem die Nachrichtenagentur Reuters und die Financial Times zitierten, von einem »Template«. Dieser englische Ausdruck steht für Mustervorlage, Schablone oder eben Blaupause.
Mancher Beobachter war wirklich erstaunt: Da hatte es ausgerechnet ein unerfahrener Newcomer gewagt, den Europäern endlich einmal reinen Wein einzuschenken. Nur die Finanzmärkte goutierten die neue Offenheit des Euro-Retters nicht. Unter dem Eindruck einbrechender Börsenkurse erlebten die Bürger dann eine neue Aufführung im Euro-Dilettanten-Stadl. Zuerst ließ Dijsselbloems Sprecherin verbreiten, ihr Chef habe Zypern gar nicht als »Template« bezeichnet. Im niederländischen Fernsehen machte der Euro-Gruppen-Chef später seine lückenhaften Englischkenntnisse für das angebliche Missverständnis verantwortlich. Er habe das englische Wort »Template« nicht einmal gekannt, sagte ausgerechnet einer, der vorübergehend am University College Cork in Irland studiert hat, wo bekanntlich Englisch gesprochen wird.
Und als seien die Millionen von Sparern und Anlegern in Europa noch nicht verunsichert genug, widersprachen sich die Euro-Retter gegenseitig. EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier stellte sich hinter Dijsselbloem und dessen Äußerungen, von denen dieser nun behauptet, er habe sie niemals in dieser Form ausgesprochen. EZB-Direktor Benoît Cœuré hingegen kritisierte den Newcomer aus Holland: »Herr Dijsselbloem lag falsch mit dem, was er sagte.« Und auch Vorgänger Jean-Claude Juncker kritisierte seinen Nachfolger.
Dabei hat sich Dijsselbloem lediglich an das von seinem Vorgänger geschriebene Drehbuch gehalten. Juncker kokettiert bisweilen damit, in der EU müsse man eben lügen, wenn es ernst werde. Bewährte EU-Praxis sei es darüber hinaus, etwas in den Raum zu stellen, dann zu sehen, ob es überhaupt jemand versteht oder Geschrei aufkommt – und dann erst zu handeln.
Das Geschrei hielt sich dieses Mal in Grenzen, weil die Bürger Europas wieder einmal für dumm verkauft wurden. Ihnen erzählte man, allenfalls kämen hohe Vermögen von über 100.000 Euro für Zwangsabgaben in Betracht. Wie dieser Betrag tatsächlich berechnet wird, blieb bislang im Dunkeln. Spielen wirklich nur die Einlagen auf Giro-, Tagesgeld- und Festgeldkonten eine Rolle? Werden bestehende Schulden von diesem Guthaben abgezogen, was zur Berechnung des tatsächlichen Vermögens unerlässlich wäre? Wie wird mit Immobilieneigentum, Pensionsansprüchen und Wertpapieren verfahren? Was passiert, wenn ein Bankkunde zufällig zum Zeitpunkt X vorübergehend einen hohen Geldbetrag auf seinem Girokonto hat, zum Beispiel aus einem Immobilienverkauf oder weil eine Lebensversicherung fällig geworden ist?
Vielleicht wird es uns Herr Dijsselbloem ja bald erklären. Aber dann bitte nicht zwei Stunden später wieder alles dementieren.